Egal ob Exploitation, Gialli, Horror oder Sci-Fi...
Von Grindhouse bis Arthouse...
Besprechungen übersehener, unterbewerteter oder obskurer Werke der Filmgeschichte!

Sonntag, 25. August 2013

Was für ein Aufschneider!

Carne per Frankenstein aka. Flesh for Frankenstein (Andy Warhol's Frankenstein)
F/I/USA 1973
R.: Paul Morrissey


Worum geht's?: Im Laboratorium seines serbischen Schlosses steht Baron Frankenstein (Udo Kier) kurz vor dem entscheidenden Durchbruch. Im Wahn, eine neue, perfekte Rasse, welche nur ihm Untertan sein wird, zu schaffen, hat der Baron mit seinem Assistenten Otto (Arno Juerging) bereits ein Exemplar beider Geschlechter zusammengenäht. Was noch fehlt, ist ein Kopf für die männliche Schöpfung. Allerdings muss dieses Haupt ein perfektes Nasum (lat. Nase) besitzen, was nach den gestrengen Maßstäben des Barons nicht leicht zu finden ist. Außerdem sollte der Spender des Körperteils über einen gesteigerten Sinn zur Fortpflanzung verfügen, erhofft sich sein Erschaffer doch gleich ein ganzes neues Volk.
Wo findet man nun einen virilen Lumpen mit adäquatem Gumpen? Genau! Im örtlichen Bordell.
Doch statt des dort umtriebigen, sexhungrigen Stallgehilfen Nicholas (Joe Dallesandro) schneidet der Baron dessen vom Weltschmerz geplagten Kumpel Sacha (Srdjan Zelenovic) die Rübe mit einer Heckenschere ab und pflanzt diese auch prompt auf sein nun endlich fertiggestelltes Geschöpf.
Mittlerweile ist allerdings die gelangweilte Baronin Frankenstein (Monique van Vooren) schon lang auf Nicholas aufmerksam geworden und schafft es auch tatsächlich diesen in ihre Dienste und in ihr Bett zu locken.
Wenig angetan von dem neuen Bediensteten macht sich der Baron mit Otto daran seinem Monsterpärchen Leben einzuhauchen und die beiden nach der gelungenen Belebung auch direkt zur Fortpflanzung zu bringen.
Was Frankenstein nicht ahnt: Sacha war ein asexueller Asket in seinem früheren Leben, der Nicholas kurz zuvor noch abgestoßen im Bordell sein Vorhaben verriet, schon bald einem Mönchsorden beitreten zu wollen.
So dreht der gute Baron schon bald gänzlich am Rad, als ihm bewusst wird, den falschen Kopf auf den richtigen Körper verpflanzt zu haben und Nicholas findet es ebenfalls gar nicht zum Lachen, als er ebenjenes Haupt seines Freundes auf einem neuen Körper wiedersieht.
Schon bald eskaliert die Lage vollends im sonst so pittoresken Schlösschen und im Laboratorium hat jemand eine ganz schöne Sauerei sauber zu machen.


Wie fand ich's?: Menschenskinder, was für 'ne Schweinerei. Regisseur Paul Morrissey bietet hier dem hartgesottenen Zuschauer eine ganze Palette von Geschmacklosigkeiten (in 3-D!) und lässt Mary Shelley im Grabe kreisen.
Carne per Frankenstein war die erste zweier Neuinterpretationen klassischer Horrorikonen, die Zweite wurde Dracula cerca sangue di vergine... e morì di sete!!! aka. Blood for Dracula (F/I 1974 dt.: Andy Warhol's Dracula), welche Morrissey in Italien für Andy Warhol produzieren sollte. Man muss bereits hier bemerken, dass beide Filme zwar mitunter die blonde Pop-Art-Legende im Titel nennen, Warhol aber wohl nur sehr wenig bis keinerlei Einfluss auf Morrisseys Arbeiten nahm und dessen Filme als eine gute, neue kommerzielle Einnahmequelle für seine Factory ansah. 
Apropos Einfluss: Antonio Margheriti wird oft als (Co-)Regisseur beider Filme genannt und es wurde jahrelang, nicht nur hinter vorgehaltener Hand, gemunkelt, dass Italofilmlegende Margheriti (vgl.: http://dieseltsamefilme.blogspot.de/2012/07/menschenfresser-in-betonschluchten.html) fürwahr bei den Dreharbeiten zu beiden Morrisseys auf dem Regiestuhl saß, es stellte sich jedoch in den letzten Jahren heraus, dass Margheritis Name nur zu bloßen Steuereinsparungsgründen in dessen Heimatland Italien in den Credits auftauchte.
Gedreht wurde ursprünglich in 3-D, was den von Carlo Rabaldi gestalteten, blutigen Gore-Effekten wohl zusätzliche Schlagkraft verlieh; leider gibt es jedoch bis dato international keine Heimkinoveröffentlichung, welche den Film wieder in dieser Fassung zugänglich macht.
Doch auch im herkömmlichen 2-D machen Rambaldis Blut- und Gekröseeinlagen auch heute noch mächtig Eindruck, der Mann wurde übrigens durch seine FX zu Ridley Scotts Alien (USA/UK 1979 dt.: Alien - Das unheimliche Wesen) und Spielbergs E.T. the Extra-Terrestrial (USA 1982 dt.: E.T. - Der Außerirdische) international bekannt, und lassen sofort erahnen, warum der Film sich in Großbritannien sehr schnell auf der Liste der berühmt-berüchtigten Video Nasties wiederfand.
Neben den saftigen Effekten bietet Morrisseys Film auch inhaltlich eine Mary-Shelley-Adaption, welche so ihresgleichen sucht und zahllose Anspielungen und Verweise auf Inzest, Impotenz, Nymphomanie und Megalomanie liefert, die den Streifen nur noch zusätzlich in die Skandalfilmecke rückten. So wird z. B. nie klar, ob der Baron und die Baroness nun Eheleute oder Geschwister (oder vermutlich beides...) sind.
Der von Udo Kier mit Spielfreude und Bravour dargestellte Baron ist ein impotenter Aristokrat, der seine sexuelle Frustration durch Größenwahn zu sublimieren versucht. Vom inzestuösen Verhältnis zu seiner Schwester abgestoßen (trotzdem gibt es zwei Kinder im Hause Frankenstein...), penetriert er lieber gleich mit dem ganzen Arm die chirurgischen Wunden seines weiblichen Geschöpfs und träumt von einer eigenen Herrenrasse.
Beäugt wird er dabei von seinem nicht weniger krankhaften Assistenten Otto, dargestellt vom ebenfalls Deutschen Arno Juerging, der die Rolle nur durch die Beharrlichkeit seiner Mutter erhielt und diese als Diener Anton im Nachfolgefilm Blood for Dracula praktisch 1/1 wiederholte. Laut Udo Kier nahm sich Juerging nach dem Tod seiner geliebten Mutter das Leben, in dem er aus einem Fenster sprang - tatsächlich hatte Juerging jedoch wenigstens noch im Jahr 1984 einen kleineren Auftritt auf den Kinoleinwänden, er spielte Dieter Hallervordens Sekretär (aus manchen Schubladen gibt es scheinbar kein Entrinnen...) Eck in Didi - Der Doppelgänger (BRD 1984 R.: Reinhard Schwabenitzky).
Neben Juerging ist auch Paul Morrisseys größte Entdeckung, Joe Dallesandro, mit von der Partie. Wer Dallesandro aus anderen Filmen kennt, weiß, dass dieser wohl auch hier in seiner ganzen Schönheit zu bewundern sein wird und man dabei sowohl seinen Little Joe (dieser Spitzname prangt auch als Tattoo auf Joes rechtem Oberarm), als auch seine Talentlosigkeit zu sehen bekommt. Interessanterweise soll wiederum Arno Juerging in einem obskuren Porno aus dem Jahre 1976 mit dem schönen Titel Ein guter Hahn wird selten Fett (BRD 1976 R.: Johnny Wyder!!) in der Rolle eines gewissen Little Joe zu sehen gewesen sein..
Egal.
Carne per Frankenstein überwindet so manche geschmackliche Grenze und suhlt sich erfrischend hysterisch in jeder Menge Gekröse. Schon in seinem Nachklapp Blood for Dracula trat Morrissey merklich etwas auf die Bremse und ließ den Kier Udo zwar Blut kotzen, aber nicht mehr so wunderbar von der Kette wie hier.


Fazit: Blutig, obszön und wohl kaum als Pop-Art zu bezeichnen - eine wirklich sehr eigenwillige Neuinterpretation des Klassikers!

Punktewertung: 6,5 von 10 Punkten

Freitag, 16. August 2013

Die Nummer 100: Ein gravierender Fall von Tollwut

Los violadores (Mad Foxes - Feuer auf Räder aka. Stingray 2)
CH/E 1981
R.: Paul Grau


Worum geht's?: Hal (José Gras - hier unter dem schnittigen Pseudonym Robert O' Neal), ein Sportwagen fahrender Playboy und Bonvivant, hat gerade noch in einer Disco den 18. Geburtstag seiner jungfräulichen Freundin Babsy (Sally Sullivan, die natürlich bürgerlich Andrea Albani heißt...) gefeiert, da werden die beiden Turteltauben das Opfer einer typischen Bande von spanischen Nazirockern, wie es sie in den 80ern in jeder iberischen Großstadt gab.
Während Hal brutal zusammengeschlagen wird, vergewaltigt ein Bandenmitglied die junge Unschuld, was Hal natürlich umgehend blutige Rache schwören lässt.
Ein Telefonanruf und die Kampfsportschule eines guten Freundes und ausgewiesenen Karatemeisters rückt vollzählig in einem Amphitheater an, wo die Bösewichte im Fackelschein gerade einen der ihren beerdigen. Ruck zuck sind die Nasen blutig und der Anführer der Hobbyfaschisten wird noch schnell mit einem Springmesser entmannt.
Zufrieden macht sich unser Held auf, seine Eltern auf dem Lande zu besuchen, unwissend, dass die Schufte ihm auf ihren Feuerstühlen längst auf der Spur sind.
Unterwegs greift Hal eine attraktive Anhalterin auf und vernascht diese wenige Minuten später, bei einem Waldspaziergang schießt der Lebemann von Welt spielerisch mit einer Flinte auf ein daherfliegendes Passagierflugzeug und muss später doch bei der Heimkehr zu seiner Überraschung nicht nur den gemeuchelten Gärtner mit dessen Heckenschere im Schlund vorfinden, sondern auch über die Leichen der Haushälterin, seines Vaters und seiner gehbehinderten Mutter stolpern.
Nun bleibt ihm nur noch eine Option übrig: Rache!
Gott sei's gelobt weiß natürlich jeder Tankwart in der Gegend, wo die Lumpenbande ihr hakenkreuzgeschmücktes Hauptquartier hat.
Mit haufenweise Wut im Bauch und genug Munition im Gepäck wirft Hal seinen Stingray an, um die Sache ein für alle Mal zu beenden.


Wie fand ich's?: Dies ist ein Jubiläums-Post und das hundertste Review meines Blogs soll natürlich einem ganz besonderen Film gewidmet sein. Einem Film, der einzigartig in seiner Machart und Wirkung ist; einem Film, der sich dem Zuschauer für alle Ewigkeit auf die Hirnrinde brennt.
Mad Foxes ist so ein Film.
Der lebenden Produzentenlegende Erwin C. Dietrich soll zweimal in seiner Karriere bei Ansicht eines von ihm in Auftrag gegebenen Werkes der Unterkiefer vor Unglauben ob des Gezeigten nach unten geklappt sein.
Das erste Mal soll dies bei Begutachtung von Jess Francos Frauengefängnis (CH 1976) passiert sein, das zweite Mal bei Ansicht des hier besprochenen Werks von Regisseur Paul Grau.
Grau ist heute der CEO des Schweizer Privatsenders Star TV, vor seiner Karriere beim Fernsehen hatte Grau neben Mad Foxes noch bei ein oder zwei Sexploitationstreifen regiegeführt (die OFDb listet tatsächlich ein Titel mehr als die IMDb) und bei einigen weiteren Dietrich-Produktionen als Production Manager fungiert.
1980 bestellte Dietrich bei dem somit nicht übermäßig erfahrenen Grau einen Kassenhit (oder eine weitere schnelle Möglichkeit Steuern abzuschreiben), dieser hatte die Idee zu einem Actionfilm, der zwar wohl erst dessen zweite Regiearbeit zu diesem Zeitpunkt werden sollte, der aber dafür alles enthalten würde, was ein großer Actionhit braucht.
Rocker? Ja klar! Aber nicht nur einfache Rocker - Nazirocker! Diese tragen natürlich Hakenkreuzarmbinden, allerdings verschwindet bei jeder Außenszene die Swastika, sodass man nur eine rote Binde mit großem, weißen Punkt am Oberarm trägt. Vermutlich wollte man in Spanien (wo der Film preisgünstig heruntergekurbelt wurde, und was man im betrunkenen Kopf ja auch gut mit dem sonnigen Kalifornien verwechseln könnte) nicht die Einheimischen verunsichern, oder gar tatsächlich Schwierigkeiten mit den Behörden provozieren.
Einen Helden mit Bums bei Frauen? Sicher, allerdings ist dessen Interesse eine soeben volljährig gewordene Jungfrau schnellst möglich mit Fusel aus dessen persönlichem, in einem Schließfach aufbewahrten, Vorrat abzufüllen, moralisch höchst fragwürdig; erst recht, wenn er wenige Stunden später bereits fröhlich eine Anhalterin flachlegt.
Erotik? Aber hallo! Man wartet hier nicht nur mit unbekleideten Damen auf, sondern zeigt auch bei jeder (un-)passenden Gelegenheit männliche Genitalien, auch gern in Nahaufnahme. Anscheinend wollte man hier wirklich JEDE Zielgruppe zufriedenstellen...
Blutige Action? Jede Menge! Da wird mehr kastriert als in der Kleintiersprechstunde eines ortsansässigen Veterinärs und ein Bösewicht wird gleich gänzlich mit einer in die Kloschüssel geworfenen Handgranate von der Keramik gesprengt...
Martial Arts? Kannste drauf wetten! Grau tritt gleich selbst als Karatemeister vor die Kamera und es kommt zu einer Massenkeilerei - nur beherrscht leider keiner der Kämpfer sichtbar auch nur annähernd den Sport, wenngleich hier und da zu lesen ist, dass Eric Falk, behaarter Darsteller in zahlreichen Sexfilmen der 70er und 80er, es Mal zu Weltmeisterwürden gebracht haben soll. So rotiert Bruce Lee im Grab, während erwachsene Männer ungelenk Arme und Beine hochreißen...
Wahres Drama? Och... Na gut, der Held bricht über seiner toten Mutter weinend zusammen und schwört mehr als einmal hingebungsvoll Rache in die Kamera; jedoch ist seine Schauspielkunst ebenso limitiert, wie die seiner Mitdarsteller. Kurz vor Mad Foxes hatte José Gras jedenfalls auch unter Pseudonym (dort nannte er sich noch Robert O'Neil mit i) in Bruno Matteis Zombieheuler Virus (I/E 1980 dt.: Die Hölle der lebenden Toten) mitgespielt, einige Zeit später tauchte er noch u. a. in Fulcis seltsamer Fantasygurke Conquest (I/E/MEX 1983) auf, bevor er Mitte der 80er auch schon wieder von der Bildfläche verschwand.
Ein überraschendes Ende mit Knalleffekt? Absolut! Das wird hier natürlich nicht verraten, doch soll mir keiner sagen, der den Film gesehen hat, er hätte dies so kommen gesehen! Da hätte selbst M. Night Shyamalan seine helle Freude dran. Echt wahr...
Alles in allem also ein beispielloses Feuerwerk der tollen Ideen, welches so seinesgleichen sucht.
Lautet der spanische Originaltitel noch Los violadores (dt.: die Vergewaltiger), so benannte man ihn für die internationale Auswertung sowohl in Mad Foxes (wohl der etwas unbeholfene Versuch an Mad Max erinnern zu wollen), wie auch in Stingray 2 um. Mit letzterem Titel wollte man sich scheinbar an den (vermutlich auch nur leidlichen) Erfolg der US-Actionkomödie Stingray (USA 1978 R.: Richard Taylor) dranhängen, welcher damals auch in Deutschland von Produzent Erwin C. Dietrich verliehen wurde. Dieser ist nach eigenen Angaben bis heute nicht in der Lage, sich dieses Machwerk in Gänze anzuschauen, doch hat Mad Foxes mittlerweile den wohlverdienten Ruf eines kleinen Kultfilms erlangt, was zumindest etwas durch DVD-Verkäufe auf dem Konto des Herrn wieder gutmachen sollte.
Die Musik stammt übrigens von der schweizerischen Antwort auf die Scorpions (andere sprechen von AC/DC): Krokus. Für jene soll Paul Grau schon in den 70ern Musikvideos gedreht haben, eindeutige Belege sind darüber allerdings in meinen Quellen leider nicht zu finden gewesen. Fakt ist jedoch, dass der Titeltrack zu Mad Foxes Easy Rocker ein verdammter Ohrwurm ist, noch das eindeutig qualitativ Hochwertigste im Film darstellt und sich auch heute noch ständig im Liveset von Krokus wiederfindet.
Nach diesem "Meisterwerk" beendete Grau seine Regiekarriere mit der Sexkomödie Sechs Schwedinnen auf der Alm (BRD 1983), in der auch das oben bereits erwähnte Sexploitation-Urgestein Eric Falk ein letztes Mal (unbekleidet) vor der Kamera stand und damit nach fast einer Dekade sündigen Treibens auf der Leinwand das (sicher durchnässte) Handtuch warf.


Fazit: Unglaublich. Eine echte Offenbahrung für ganz abgebrühte Trash-Connaisseure und ein unverfälschtes Magnum-Opus des schlechten Geschmacks.

Punktewertung: Die Arthousegemeinde dürfte 1 von 10 Punkten vergeben, wer hingegen Troll 2 (I/USA 1990 R.: Claudio Fragrasso O.: Trolli) bereits oft genug mit Vergnügen bestaunt hat, dürfte auch hier voll auf seine Kosten kommen.
Ich persönlich vergebe einfach Mal ebenso subjektive wie diplomatische 5 von 10 Punkten.

Samstag, 10. August 2013

Von Richtern, Rächern und Kinomagiern

Judex
F/I 1963
R.: George Franju


Worum geht's?: Paris kurz nach dem Ersten Weltkrieg.
Der verbrecherische Bankier Favraux (Michel Vitold) erhält schriftliche Drohungen eines gewissen Judex (Channing Pollock), der sofortige Wiedergutmachung für die seit Jahren betrogenen Opfer des feinen Herrn fordert.
Doch der aalglatte Kapitalist denkt gar nicht daran, Kohle lockerzumachen, sondern feiert fröhlich sein 20-jähriges Firmenjubiläum und die gleichzeitige Verlobung seiner Tochter mit einem geldgierigen Windhund, in dem er erst mal einen aufwendigen Maskenball schmeißt.
Fast Mitternacht, hat der Zauberer mit der Vogelkopfmaske seine Darbietung beendet und mit dem letzten Schlag der Kaminuhr bricht der Hausherr leblos zusammen.
Allerdings ist Favraux nicht das Opfer eines Meuchelmordes, sondern das eines perfekten Kidnappings geworden, hält ihn doch der Rest der Welt, inklusive seiner Tochter Jacqueline (Edith Scob) für Tod, während er fortan in Judex' Kellergefängnis über seine Untaten nachdenken soll.
Gestört werden die genialen Pläne des selbst ernannten "Richters" in Schwarz nur von einer draufgängerischen Gangsterbande, die von Favraux früherer Bediensteten Diana (Francine Bergé) angeführt wird und durch Zufall vom wahren Verbleib des Bankiers erfährt.
So planen die Gauner schon bald, den Gekidnappten selbst aus seinem Gefängnis zu entführen, um so an dessen gewaltiges Vermögen zu gelangen.
Aber da hat Judex ja gottseidank noch ein Wörtchen mitzureden...


Wie fand ich's?: Fast 50 Jahre später, eine Hommage auf die Serials der 10er Jahre und ihren König Louis Feuillade (*1873; †1925) zu drehen, zeugt von tiefer Verbundenheit mit diesem Genre.
Feuillade hatte mit den Reihen um Fantômas (F 1913-1914) und Irma Vep, Mitanführerin der Bande  Les Vampires (F 1915-1916), dem französischen Kino bereits früh zwei Ikonen bescherrt - Superverbrecher, deren Taten und Verkleidungen den Zuschauer weit mehr faszinierten, als die spießigen Bürokraten, die ihnen aufgeregt hinterherjagten.
Mit der Figur des Judex (lat. Richter) wollte Feuillade sich dann doch noch auf die Seite der Kämpfer für Recht und Ordnung schlagen und in der Person des Rächers im schwarzen Umhang bereits eine Schablone für Superhelden wie The Shadow oder Batman schaffen. Gespielt wurde dieser Ur-Vigilant seiner Zeit von René Cresté und seine Gegenspielerin war die legendäre Musidora (eigtl.: Jean Roques), die bereits als o. g. Irma Vep in Les Vampires das Publikum begeistert hatte.
Nun begab es sich, dass Anfang der 60er Jahre Meisterregisseur George Franju (*1912; †1987) das Angebot unterbreitet wurde ein Remake des Judexserials in Form eines aufwendigen Kinofilms zu produzieren. Franju soll zunächst wenig begeistert von dieser Idee gewesen sein, war er doch weit mehr an der Gestalt des Fantômas interessiert und sah Judex im Vergleich als Feuillades schlechteste Arbeit an.
Franju, immerhin selbst ein unbestrittener Meister seines Faches (man denke natürlich nur an seinen Überklassiker Les youx sans visage [F/I 1960 dt.: Das Schreckenhaus des Dr. Rasanoff]), übernahm die Vorlage mit einigen kleineren Änderungen, doch ist es nicht wirklich verwunderlich, dass Judex am Ende zu fast gleichen Teilen ein Feulliade-Remake und ein Franju-Film geworden ist. So findet man in Judex sowohl Feulliades rasanten Erzählstil wie Franjus Vorliebe zum Expressionismus eines Fritz Lang mit einem leichten Hang zum Surrealismus.
Das zeigt sich auch in der berühmtesten Szene des Films, in der Judex mit einer wunderbar gestalteten und an die Arbeiten eines Max Ernst oder J. J. Grandville angelehnten Vogelmaske Zaubertricks mit Tauben vor den Teilnehmern eines Maskenballs vorführt.
Tatsächlich war der Darsteller des Judex, Channing Pollock, vor seiner Karriere als (in erster Linie TV-) Schauspieler ein bekannter Bühnenmagier, dessen Tricks mit Vögeln ihm große Popularität und Auftritte in Fernsehshows einbrachte. Leider muss man an dieser Stelle aber auch bemerken, dass Pollock mit seiner stets starren Mine kaum einen würdigen Nachfolger für René Cresté darstellt.
Ganz anders verhält sich das mit Francine Bergé in der Rolle der einfallsreichen Gaunerin, die hier immerhin in den riesigen Fußstapfen einer Musidora wandelt, durch ihre sexy Kostüme und ihr flamboyantes Schauspiel aber (wohl ganz im Sinne ihrer Vorgängerin) praktisch jede Szene sofort an sich reißt und durch ihre bloße Präsenz klar dominiert.



Fazit: Stylish, rasant, nostalgisch, modern, trivial und künstlerisch. Meister Franju verfrachtet genial ein obsoletes Medium in die 60er Jahre.

Punktewertung: 8,75 von 10 Punkten

Donnerstag, 1. August 2013

Von kaltem Wodka und heißen Hexen

Viy (Вий)
SU 1967
R.: Konstantin Yershov und Georgi Kropachyov


Worum geht's?: Russland zu Zeiten, in denen es ebenso nebelig kalt wie romantisch war. 
Der junge, lebenslustige Philosophiestudent Khoma (Leonid Kuravlyov) flüchtet in seiner freien Zeit mit zwei Kommilitonen aus den Mauern der gestrengen Klosterschule zu Kiew und zieht mit seinen Kollegen lachend und trinkend durch die Lande.
Auf der Suche nach einer Herberge für die kalte Nacht kommen die drei zu einem Bauernhaus, wo sie von einer alten Vettel (Nikolai Kutuzov - ja, ein Typ in Fummel) auf drei Schlafplätze verteilt werden. 
Khoma ist der Letzte, der sein Lager in einer leeren Scheune gezeigt bekommen soll, und ist nicht wenig überrascht, als die Alte plötzlich zudringlich wird, auf seinen Rücken steigt, ihn wie ein Pferd reitet und bald darauf schon mit dem armen Studenten über Felder, Sümpfe und Seen davonfliegt.
Vollkommen in Panik schlägt Khoma nach der Landung mit einem Stock wie von Sinnen auf das teuflische Mütterchen ein, bis sich die Hexe doch tatsächlich vor seinen Augen in ein hübsches, junges Mädchen (Natalya Varley) verwandelt und der perplexe Student schnell das Weite sucht.
Doch wird unser Held schon bald von dem Vorkommnis erneut heimgesucht, schickt ihn doch sein Lehrer ins Haus eines reichen Gutsbesitzers. Dessen Tochter liegt im Sterben und Khoma soll an ihrem Sarg drei Nächte lang für sie beten.
Die Überraschung mag für Khoma größer sein, als für den gewitzten Zuschauer, aber das schöne Töchterchen ist tatsächlich die garstige Hexe vom Beginn des Films, und angepisst genug, um den jungen Mann auch noch vom Totenbett heimzusuchen...
Von nun an betet unser Held im wahrsten Sinne des Wortes um sein Leben, denn die hübsche Hexe gebietet auch noch die Unterstützung einer ganzen Garde von Höllenkreaturen.
Die Schrecklichste von ihnen ist der Viy...



Wie fand ich's?: Dieser Film gilt als der erste sowjetische Horrorfilm und hat somit zumindest seinen Status als kleine Fußnote in der Filmhistorie bereits sicher. 
Während der Klassenfeind nämlich fröhlich Jahrzehnte lang einen Gruselklassiker nach dem anderen aus den Studios jagte, setzte man in der Sowjetunion lieber auf familienfreundliche Fantasyfilme bzw. Adaptionen bekannter Märchentexte.
Wie in anderen Diktaturen (man denke ebenfalls an Mussolinis Italien, Francos Spanien und natürlich auch an das 3. Reich) wollte man die Bürger nicht erschrecken, sondern entweder mit Durchhalteparolen bei der Stange halten oder mit honigsüßem Eskapismus einlullen.
Einer der Spezialisten in Sachen Realitätsflucht war der Russe Aleksandr Lukich Ptushko (*1900;
†1973). Ptushko wird oft als ein russischer Walt Disney bezeichnet; ein Vergleich, der etwas hinkt, war Ptushko doch in erster Linie ein Stop-Motion-Künstler und somit eher ein Kollege der Herren O'Brien oder Harryhausen. So hatte er 1927 damit angefangen an kurzen Puppentrickfilmen für die Mosfilm zu arbeiten, bevor er 1933 mit der Produktion der Gulliveradaption Novyy Gulliver (SU 1935 dt.: Der neue Gulliver) begann, einem der ersten abendfüllenden Puppentrickfilme überhaupt, der zudem bereits aufwendige Stop-Motion-Technik mit Realfilm verband, etwas, was Willis O'Brien zwar bereits 1925 in The Lost World (USA 1925 R.: Harry O. Hoyt dt.: Die verlorene Welt), allerdings in einem weit weniger aufwendigen Rahmen, da Ptushko wesentlich mehr Puppen am Start hatte.
Kommen wir nun aber endlich mal auf Viy zu sprechen, an dem Ptushko zwar nur als Art Director arbeitete, der aber untrügerisch die deutliche Handschrift des Großmeisters trägt.
So ist der Film in erster Linie eine gelungene Mischung aus Ptushkos folkloristischen Märchen und dem Gothic-Horror italienischer Machart.
Es ist nach Ansicht des Films nicht verwunderlich, dass in Verbindung mit ihm auch immer wieder die Rede von Mario Bavas Meisterwerk La maschera del demonio (I 1960 dt.: Die Stunde, wenn Dracula kommt) ist; zum einen, da Viy sowohl optisch, wie atmosphärisch an die frühen Gruselstreifen des Maestros erinnert, zum anderen, weil sich Bavas La maschera del demonio ebenfalls an Nikolai Gogols Kurzgeschichte Viy (rus.: Вий) orientiert, wenn auch wesentlich geringer als im zurecht gleichbetitelten russischen Beitrag.
Wie bei Bava sind auch bei den Sowjets die Mittel einfach, deren Einsatz jedoch schlichtweg genial. Sicher, in Zeiten der riesigen CGI-Mechkrieger aus Pacific Rim (USA 2013 R.: Guillermo del Toro) wirkt dies hier geradezu steinzeitlich, doch spätestens Star Wars: Episode I - The Phantom Menace (USA 1999 R.: George Lucas) sollte den Meisten bewiesen haben, dass teure Special-FX kein Ersatz für Charme, eine gut erzählte Geschichte oder interessante Ideen ist...
Egal, Viy ist eine kleine Perle, welche eigentlich eine weitaus größere Popularität hierzulande verdient hätte, welche dann auch eine deutsche DVD-Veröffentlichung (von Blu Rays fange ich erst gar nicht an...) nachsichziehen würde.
Bis das jedoch Realität wird, bleibt dem Filmfan leider nur der Blick ins Ausland oder der Griff zur Wodkaflasche.



Fazit: Ein im Westen sträflich übersehener Klassiker des Gothic-Horrors. Wer alles von Bava bereits verschlungen hat, findet hier eine eisgekühlte Delikatesse.

Punktewertung: 8,75 von 10 Punkten